Jeanne Hersch
von Renata Rapp
«Die Freiheit an sich ist unveräusserlich. Doch sie verwirklicht sich im und durch den Menschen.»[1] |
Der Philosoph und die Politik
Der Philosoph, bzw. der Intellektuelle, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, hat die Aufgabe, zu den Fragen der Politik und der Gesellschaft Stellung zu nehmen. Auch wenn er vermeint, für sich allein zu philosophieren, ist er in einer Gemeinschaft eingebunden. Die anderen hören auf sein Wort, die Machthaber schmeicheln ihm. Wenn die Menschen sich bequem dem Lauf des Schicksals überlassen wollen oder mutlos meinen, „so ist es eben“, wird der Philosoph zum „Spielverderber“. Er fängt an zu unterscheiden zwischen dem Gegebenen, den Tatsachen der täglichen Politik, und dem Möglichen der ewigen Werte. Tatsachen müssen bewertet werden, aber nicht mit einem willkürlichen Wertmassstab: es sind die ewigen Werte, „ohne die der Mensch nicht mehr Mensch wäre“[2]. Der Philosoph kann in der Politik nicht blosse Sozialtechnik sehen, die Politik muss immer am Mass der Menschlichkeit gemessen werden. Wir erleben heute, wie Machtpolitik wieder offen mit Gegebenheiten, denen man sich anpassen müsse, scheinbegründet wird, z.B. mit der „Globalisierung“. Hierzu würde Jeanne Hersch wohl sagen, dass es Menschen sind, die die Tatsachen schaffen, und der Philosoph muss jenseits aller „modischen Strömungen“ auf den Sinn und die Normen hinweisen. Er hat die Aufgabe, vorauszudenken und die Folgen der Handlungen und ihre Bedeutung für die Zukunft über das Alltagsgeschehen hinaus zu erklären. Wenn der Philosoph seine Aufgabe wirklich erfüllt, kann nachher niemand sagen, er hätte von nichts gewusst! So stellt der Philosoph den Menschen seiner Freiheit gegenüber – dem höchsten Wert des Menschseins. Dies bedeutet, dass wir uns entscheiden müssen, ob wir Spielball und Sklave oder frei sein und zur Gestaltung der Welt beitragen wollen.
[1] Hersch, J. Der Philosoph und die Politik. In: dies. Die Hoffnung, Mensch zu sein. Essays. Zürich, Köln 1976, S. 13.
[2] Hersch, J. Der Philosoph und die Politik. In: dies. Die Hoffnung, Mensch zu sein. Essays. Zürich, Köln 1976, S. 12.