Jeanne Hersch: Menschsein im Hier und Jetzt

Zum 100. Geburtstag

von Erika Vögeli

Jeanne Hersch, die 1910 in Genf geborene und am 5. Juni 2000 ebenda verstorbene Schweizer Philosophin, wäre am 13. Juli hundert Jahre alt geworden. Die Themen und Fragen, mit denen sie sich zeitlebens auseinandersetzte, haben seither nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil: Ihre dezidierte Stellungnahme für die Fähigkeit des Menschen, zwischen Gutem und Schlechtem zu unterscheiden, für die daraus resultierende Freiheit, sich entscheiden zu können, die den Menschen auch vor sich selbst und vor der Geschichte verantwortlich werden lässt, ihr Eintreten gegen jede deterministische, mechanistische und die menschliche Person verneinende Auffassung bilden gerade in einer Zeit utilitaristischer Verkürzung des Menschen zum Beispiel auf ein von Kosten-Nutzen-Denken bestimmtes Wesen einen wohltuenden Kontrapunkt. Jeanne Hersch hätte der Ökonomisierung aller Lebensbereiche – euphemistisch Globalisierung genannt – mit Sicherheit das ganze Gewicht ihrer philosophischen Einsicht entgegengehalten: Auch wenn die historische Situation, die sozialen Umstände, die Erziehung und vieles mehr durchaus ihren Einfluss auf die Entwicklung des Einzelnen geltend machen, ist der Mensch kein passives, von Umständen, Geschichte oder der gesellschaftlichen Situation einfach bestimmtes Wesen. Und auch die Geschichte vollzieht sich nicht einfach, weder als Ablauf historischer Notwendigkeiten noch als Realisierung ökonomischer Zwänge – sie wird von Menschen gemacht. Und so ist die Freiheit auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene nichts Gegebenes, sondern ständige Aufgabe.

Damit verbinden sich zwei weitere Anliegen, für die sich Jeanne Hersch Zeit ihres Lebens engagierte: ihr Einsatz für Demokratie, Menschenwürde und Menschenrechte einerseits und die Frage der Erziehung der jungen Generation andererseits.

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