Genosse Clinton in Bedrängnis
Annemarie Buchholz-Kaiser
Zeit-Fragen vom Oktober 1998
Wenn ein Mensch, der gesellschaftliche Verantwortung trägt, seiner Aufgabe über Jahre entspricht und sie zum Wohle aller wahrnimmt, dann gibt das meist weniger Anlass zu Nachdenken und Kommentar, als wenn Versagen, Defizite und Mängel allzu offenkundig werden oder gar nach einer raschen Lösung verlangen. Eine Person mit einem Defizit an Integrität, an Persönlichkeit und Moral in einer Machtposition: An solchen Beispielen ist die Geschichte unseres Jahrhunderts reich. Zu oft hat man sich erst im nachhinein gefragt, ob dieser Mangel nicht vorher schon manifest war. Nicht daran zu denken, was hätte vermieden werden können, wenn vorher genauer geprüft worden wäre. Neu ist das menschliche Versagen von Bill Clinton in diesem Lichte nicht, und der Schaden – soweit er offensichtlich ist – hält sich in Grenzen.
Die Medien
Das Fernsehen und die Nachrichtenmedien hätten Clinton jederzeit fertigmachen können. Sie wussten, wofür er stand, und machten nichts, weil sie in ihm ihr eigenes Spiegelbild sahen.
90 Prozent der Medien stehen links oder extrem links. Neu ist am Fall Clinton aber sehr wohl einiges, das auch reflektiert gehört. Dass heute Internet und Fernsehketten zum Zuge kommen, ist das eine, ist aber nur der kleinste Teil des Ganzen. Die Linke hat auf ihrem langen Marsch durch die Institutionen zäh genug daran gearbeitet, die Medien als «Vierte Gewalt» (Reginald Rudorf) zu etablieren. Sie hat es geschafft – die konservative Seite hat dazu geschwiegen. Jetzt erst fällt es störend auf, dass die Medien in hochproblematischen Situationen ihren Part im Machtgerangel spielen? Vorher mussten sie nie zur Räson gerufen werden? Als sie durch die ganzen 60er, 70er, 80er und 90er Jahre die europäisch abendländische Gesinnung, die christlichen Werte, die beste Substanz an westlicher Tradition durch Hohn und Lächerlichmachen zu Boden gerissen haben und durch Show-Business, hohle Eitelkeit, inhaltsloses Getue, Pornographie und Gewalt ersetzt haben? Das Fernsehen hätte in der Geschichte unseres Jahrhunderts auch eine andere Rolle spielen können: Wissen vermitteln, Bildung pflegen und anregen, echte menschliche Kultur und Humanität in jede Familie tragen …
Umgangene Fragen
Der andere Teil am Fall von Genosse Clinton ist komplexer und wird von allen Kommentatoren mit auffallendem Schweigen umgangen: Die Frage zum Beispiel, wer seine Freunde und Berater sind. Die Frage, warum er kein Schamgefühl kennt und selber Konsequenzen zieht, bevor sich der Öffentlichkeit das Bild einprägt von einem Präsidenten, an dessen Penis eine Praktikantin nuckelt und lutscht, während gleichzeitig ein Abgeordneter aus dem Kongress anruft und eine amtliche Sache verhandelt wird.
Weitere Fragen schliessen sich an: Wer wählt die Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten aus? Nach welchen Kriterien? Da ein Staatspräsident die Bürger eines Landes vertritt und das staatliche Machtmonopol in die Hand bekommt, das er zum Gedeih und Verderb aller nutzen kann, haben die Menschen heute ein Recht darauf, auf solche Fragen eine Antwort zu erhalten. Das ist eben die moderne Welt, sagen die einen. Lenken sie damit nur ab? Dass dieser Zahn der Zeit in politischem Auftrag und in politischer Absicht an der westlichen Kultur nagt, wird heute keiner bestreiten. Vor allem nicht, wenn er die Theorie der Frankfurter Schule, von Adorno, Horkheimer und Habermas in ihrer Absicht kennt.
Die Frankfurter Schule
Die Theorie der Frankfurter Schule in ihrer Anwendung: In diesen Zusammenhang gehört der Fall Clinton. Denn es war die Frankfurter Schule, allen voran der in Kalifornien Lehrende H. Marcuse, welcher jeder noch so abwegigen sexuellen Perversion den gloriolen Schein eines Widerstandkampfes gegen die angeblich repressiven Bürgerlichen Werte verlieh: je perverser, desto progressiver.
In diesen Zusammenhang gehört das Aufkommen einer Form von Promiskuität, die nichts mit freier Liebe zu tun hat. Damit ging ein Grad an allen möglichen Perversionen – an sogenannter sexueller «Befreiung» insgesamt – einher, die auf vielen der amerikanischen Universitäts-Campus’ ein Mass erreicht hatte, dass damalige Studenten die Erinnerungen nicht loswerden können und heute noch – Jahrzehnte später – die Sprechzimmer von Psychotherapeuten bevölkern.
Clintons Beziehungen und linksextreme Beratung
Clinton ist ein ausgezeichnetes Beispiel für ein Produkt der 60er Jahre und ihrer erzieherischen Umgebung – zunehmend marxistisch, ohne Sexualmoral, ohne Bewusstsein für richtig und falsch, revoltierend gegen Autorität und Tradition, und versehen mit sozialrevolutionären Lehren, die dazu angetan sind, die westliche Kultur und Wertvorstellungen zu untergraben. Wer hat überprüft, in welchen Kreisen Bill Clinton sich auf dem Universitäts-Campus bewegte? Kommen dort seine Freunde her, die ihn heute umschwärmen und ihren Platz im staatlichen Machtgefüge suchen? Ist dort seine Beziehung zu Leuten wie einem Derek Shaerer und dem linksextremen, marxistischen Institut for Policy Studies (IPS) entstanden? Oder woher sonst hat er einen Freundes-, Berater- und Mitarbeiterstab, der genau bei Instituten ein- und ausgeht, wo auch das frühere KGB und heutige SWR seine Domäne hat? Ist Clinton über menschliche und seelische Abhängigkeiten in solch sexuell «befreiten» Kreisen zum Instrument einer bunten Linken geworden, die von einem «neuen Sozialvertrag» redet und China, Kuba, den Vietcong und Nordkorea meint, wenn sie von demokratischen Verhältnissen redet? Oder woher sonst kommen diese Beziehungen? Wie wurde Clinton zum Hoffnungsträger dieser bunten Internationale? Hat deshalb China im Jahre 1996 seinen Wahlkampf mitfinanziert?
Solche Fragen sind mehr als moralischer Rigorismus von Republikanern («Neue Zürcher Zeitung» vom 22. 9. 1998). Das Problem Clinton führt zu einem anderen Hintergrund. Es geht nicht um einen Schürzenjäger gewöhnlichen Stils. An diesem Punkt ist das Problematische seines Privatlebens mehr als eine Frage der Menschenrechte eines Staatsmannes, wie Antje Vollmer, Abgeordnete der deutschen Grünen, meinte. Sein Verhalten wird zu einer Frage der Sicherheit, der Gefährdung, des verspielten Vertrauens für eine ganze Nation, und für die Bündnispartner auch.
Das müssen die europäischen Staatsoberhäupter wissen. Wozu sonst haben sie ihre Nachrichtendienste und ihre politischen Beraterteams? Darum ist es zuwenig, was sie jetzt zur Affäre Bill Clinton sagen. Heute die Medien zurückbinden, wo man sie dreissig Jahre im Kulturkampf gegen traditionell europäisches Erbe nie zurückgebunden hat, hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Haben die europäischen Staatsmänner Ähnliches an Privatleben zu verdecken, das sie lieber nicht im Internet haben möchten? Und das nicht gleichzeitig über den Fernsehschirm laufen darf, während sie cool die Generalversammlung der Vereinten Nationen eröffnen? Soll das Motto der Jahrtausendwende für alle Träger von öffentlicher Verantwortung werden: «Denn sie kennen keine Scham […]»?
Schauspiel und Hintergründe
Clintons Bitte um Reue und Vergebung ist allzu offensichtlich nur dem Show-Business gewidmet, sonst würde er sich freiwillig in den Schatten eines Privatlebens zurückziehen. Mit PR-Beratung und Schauspielerei am Fernsehschirm allein kann man die Welt nicht für sich einnehmen. Alle lassen sich nicht zum Narren halten. Dieser Akt des Dramas Clinton rundet nur den traurigen Erfolg der Frankfurter Schule ab. Noch im Rückzug von der Macht muss soviel Terrain wie möglich gesichert werden – das gehört wohl zum Auftrag aus dem linken Hintergrund.
Cool hofiert Clinton die Black Community. Hofiert er auch die Porno-Industrie? Die Schwulen und Lesben? Die Sado-Masos? Die Pädophilen? Dass die Feministinnen ihnen die Treue halten, dafür wird Hillary Clinton schon selber sorgen.
Mit der gleichen Coolheit hat er seine «buddies» und «pals» – wie er seine Genossen aus dem IPS nennt – in amtliche Positionen zu hieven versucht, wie David Mark Price in seiner Studie über die Clintons schon 1994 aufzeigte. Bei einigen ist es ihm gelungen; andere sind von den Sicherheitsbehörden durchleuchtet worden und aufgefallen. Warum kennt er auch da keine Scham? Europa macht es sich zu einfach Wer sich in Europa moralisch darüber erheben will (Tony Blair: «Ich bin entsetzt»; Helmut Kohl: «Mich kotzt das an»; Lafontaine: «ekelhaft und widerlich»; Frankreichs Aussenminister Vectrine: «durch Voyeurismus verstärkter McCarthyismus»; Unterhausabgeordneter Parris, England: «Hexenjagd»), der denke bitte darüber nach, dass die Frankfurter Schule immerhin in Frankfurt erfunden und gegründet wurde. Am Nato- Partner USA ist sie nur am stärksten und nachhaltig zersetzend durchexerziert worden. Am stärksten? Wo stehen die anderen? Belgien mit der Pädophilie? Deutschland mit der PDS? Die Schweiz mit der Drogenlegalisierung und dem Heroinanbau von Bundesrätin Dreifuss im Landesinneren. Österreich mit einem Literaturpreis für den «Baby-Ficker»-Text von Urs Allemann? Holland mit Drogen und Euthanasie? Der Weltkirchenrat in Genf mit einer mehr als zweifelhaften Ökumene, die mit einem «neuen Sozialvertrag» die Demokratie ruinieren will?
Anforderungen an Verantwortungsträger
Die heutige Welt ist mehr als genug Gefahren ausgesetzt. Wer in einer solchen Zeit das Amt eines Staatspräsidenten oder Vorsitzenden eines multinational tätigen Unternehmens übernehmen soll oder will, der muss ein bisschen mehr aufweisen als nur das Mindestmass an Integrität, an charakterlicher Festigkeit, an Ehrlichkeit und Moralität in einem umfassenden menschlichen Sinne, an demokratischer Überzeugung. Er muss verankert sein in ethischen Werten und diese offenlegen und auch leben. Diese Anforderungen muss man stellen, und diese Geradlinigkeit und diesen Mut muss ein Kandidat für ein solches Amt aufweisen, sonst passt er besser in die Vergnügungsviertel der Grossstädte oder als Sekretär für das Rotlicht- Milieu. An den Schalthebeln der Macht ist ein solcher Mensch fehl am Platz, insbesondere weil er nicht unabhängig ist.
Heute geht es darum, einem Kulturkampf auf vierzig Jahre zurück gemeinsam ins Auge zu schauen; gemeinsam etwas gegen die Schäden zu tun; gemeinsam Kulturwerte, demokratische Gesinnung und persönliche Stärke der Gründerväter unserer Demokratien bei der nachwachsenden Generation wieder zu stärken. Es geht darum, Voraussetzungen zu schaffen für eine Welt, in der unsere Kinder leben können und die nicht zu einem globalisierten Gefängnis und Perversen-Freizeitpark verkommt. Dieses Anliegen sollte die besonnenen Kräfte auf beiden Seiten des Atlantiks einen.