Annemarie Kaiser

Das Gemeinschaftsgefühl Entstehung und Bedeutung für die menschliche Entwicklung

Eine Darstellung wichtiger Befunde aus der modernen Psychologie

Verlag Psychologische Menschenkenntnis 1981

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Einleitung

Alfred Adler hat mit dem Begriff des Gemeinschaftsgefühls die zwischenmenschliche Beziehung zum zentralen Problem seiner Persönlichkeitslehre gemacht. Seine Darlegungen stammen aus der Anfangszeit der Tiefenpsychologie. Im Lichte der heutigen Kenntnisse des menschlichen Seelenlebens müsste es möglich sein, die Relevanz seiner Aussagen über das Gemeinschaftsge- fühl einigermassen einzuschätzen.

Der Grad an Gemeinschaftsgefühl charakterisiert in der indivi- dualpsychologischen Lehre den Grad an seelischer Gesundheit. Der Mangel an Bezogenheit auf den Mitmenschen gibt Auskunft über die Art und den Grad des Ausweichens in neurotische For- men oder in die Psychose, die nach dem Zusammenbruch der Beziehungsfähigkeit in Erscheinung treten kann. Vom Gemein- schaftsgefühl her – als dem Kernstück der Adlerschen Lehre – sind auch die anderen Bereiche dieser Persönlichkeitstheorie in ihrem Zusammenhang zugänglich: das Minderwertigkeitsge- fühl und die Arten der Kompensation, die durch den Grad an Lebensmut ermöglicht werden und die in Geltungsstreben auf der nützlichen oder unnützen Seite des Lebens zum Ausdruck kommen oder in gemeinschaftsbezogene Lösungen der Lebens- fragen einmünden können. Die je individuelle Art der Orientie- rung im Zusammenleben nennt Adler den Lebensstil, der dem psychologischen Betrachter als eine Art Leitlinie mit einem be- stimmten Ziel verständlich wird.

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