Das Gemeinschaftsgefühl bei Alfred Adler
im Vergleich zur Therapie der Psychosen bei Frieda Fromm-Reichmann
Vortrag, gehalten am 15. Kongress der Internationalen Vereinigung für Individualpsychologie in Wien, 2. bis 6. August 1982.
Sehr geehrte Damen und Herren, hören Sie Nachrichten? Wer von uns könnte sagen, wie viele Kriege im Jahre 1982 schon stattgefunden haben? Wir haben uns heute schon wieder daran gewöhnt, dass der Krieg zum Alltag des menschlichen Zusammenlebens gehört. Im Vorfeld eines möglichen dritten Weltkrieges ist es mehr denn je vonnöten, den Aspekt der menschlichen Lebensgestaltung ins Auge zu fassen, den Alfred Adler mit seinem Begriff des Gemeinschaftsgefühls gekennzeichnet hat.
Für uns Individualpsychologen ist das Gemeinschaftsgefühl das Kernstück der Adlerschen Persönlichkeitslehre. Aus der Stellung des Individuums in der Gemeinschaft lassen sich seine Charakterstruktur und sein Lebensstil ermitteln. Gemeinschaftsgefühl ist das tragende Element für die gesunde Bewältigung der Lebensaufgaben in allen Bereichen. Vom Gemeinschaftsgefühl her lässt sich die Neurosenlehre bestimmen, und es gibt auch die Grundlage für das Verständnis der Psychose. Vielleicht gerade weil diese Einsichten Alfred Adlers bis heute zuwenig zur Kenntnis genommen wurden, ist die Hilflosigkeit auf dem Gebiet der Therapie der Psychosen noch so gross. Darum greife ich in meinem Referat aus den vielen Vergleichsmöglichkeiten mit Befunden der Entwicklungspsychologie und der Neopsychoanalyse das Konzept der Psychotherapie der Psychosen bei Frieda Fromm-Reichmann heraus.
