Bildschirm oder Liebe?
von Moritz Nestor, Psychologe und Anthropologe
In der Glitzerwelt eines Flughafens hat auf einer Polstergruppe ein gut gekleidetes Ehepaar mit einem etwa fünf Monate alten Kleinkind Platz genommen. Der Vater starrt, Kopfhörer in den Ohren, in sein Handy und tippt ununterbrochen auf den Tasten herum. Ab und zu nippt er an seiner Cola. Die Mutter, ebenfalls vor einer Cola, starrt in den Bildschirm eines grösseren elektronischen Teils, mit dem sie ständig Nachrichten empfängt und sendet. Das Kind sitzt in einem Tragkorb, der neben dem Tisch steht. Vor sich hat es ein iPad. Über die Lautsprecher der Halle plätschert «Steckdosenmusik». Die Händchen des Kindes patschen auf dem Bildschirm herum. Ein blödes Blasengesicht mit Stummelbeinen und Dreiecks-Ärmchen nach dem anderen taucht auf, rote, blaue, gelbe, grüne, sie lachen das Kind an und verschwinden. Und das Kind lacht den Blasengesichtern hinterher, will sie mit den Fingerchen festhalten, aber es versteht noch nicht, was irreale Bilder sind – etwa so wie mein Hund, der den bellenden Hund auf dem Bildschirm hinter dem Fernseher sucht. Dann und wann quiekt das kleine Kind. Und dann und wann beugt sich die Mutter wortlos zu ihm hinunter, um bald aber wieder weiter mit ihrer Maschine beschäftigt zu sein. Dann und wann fliegt eine «Information» zwischen den Erwachsenen hin oder her, ein schneller Blickwechsel, dann wieder das alte Bild. Fast zwei Stunden geht das so.
Meine Blicke und meine Gedanken wandern, während ich lese, immer wieder zu dem Ehepaar und seinem Kind. Gemeinsam sitzen sie alleine da. Was spielt sich da ab?